Interview mit Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht Bayern, zur aktuellen Situation in den Bergen
Herr Ampenberger, Sie sind seit vielen Jahren in der Bergwacht Bayern tätig. Gibt es derzeit aufgrund der Corona-Krise Beschränkungen, die Wanderer unbedingt beachten müssen?
„Betretungseinschränkungen oder -verbote aufgrund der Corona-Pandemie bestehen grundsätzlich nicht. Es sind keine Wege oder Klettersteige aufgrund behördlicher Maßnahmen gesperrt. Natürlich können Sperrungen aus anderen Gründen, etwa der Wegbeschaffenheit, in den Bergen immer möglich sein. Aber überall dort, wo wir eine Infrastruktur nutzen – seien es die Bergbahnen, Einkehrmöglichkeiten oder Hüttenübernachtungen – gibt es sehr wohl Einschränkungen.
Wer etwa in einer Hütte übernachten möchte, muss sich vorab über die jeweilige Situation vor Ort informieren und unbedingt vorab einen Schlafplatz reservieren – im gesamten Alpenraum. Die meisten Hütten können in diesem Sommer weniger Wanderer aufnehmen und die Betten sind vor allem auf den bekannten Wanderrouten sehr begehrt. Einige öffnen aber auch gar nicht. Eine Vorreservierung war aufgrund der hohen Nachfrage aber meist auch schon in den anderen Jahren sinnvoll und nötig.
Natürlich gilt auch in den Bergen, Berggasthäusern und Hütten: Nur gesunde Wanderer und Erholungssuchende sollten sich auf den Weg machen. Die Regeln für's Händewaschen, den Mund-Nasenschutz und die Abstandsreglungen gelten auch am Berg. Geduld und Rücksichtnahme helfen uns allen an dieser Stelle. Alle Hüttenbetreiber sowie die Alpenvereine der Alpenländer (Deutschland, Österreich, Schweiz) informieren umfangreich über die geltenden Maßnahmen.“
Wie sieht es bei den Bergbahnen aus? Können diese trotz Corona-Beschränkungen genutzt werden?
„Ja, die meisten Bergbahnen haben den Betrieb zu den Pfingstfeiertagen wieder aufgenommen – natürlich auch hier mit gewissen Beschränkungen. Die maximale Personenanzahl in den Gondeln und Kabinenbahnen ist beschränkt und alle Gäste und Mitarbeiter müssen sowohl in den Kabinen selbst als auch in den Gebäuden einen Mund-Nasenschutz tragen. Die Seilbahnbetreiber haben sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht und umfangreiche Hygiene- und Sicherheitskonzepte entwickelt.“
Musste sich auch die Bergwacht Bayern auf einen Bergsommer in der Corona-Pandemie speziell einstellen und eigene Maßnahmen ergreifen? Gab es etwa entsprechende Schulungen für die Einsatzkräfte?
„Auch wenn nach und nach weitreichende Lockerungen getroffen wurden, ist die Corona-Krise noch lange nicht überstanden. Das Virus gibt es immer noch! Es gelten daher immer noch einsatztaktische Maßnahmen, die wir in der Hochphase der Pandemie in Deutschland erarbeitet haben. Kleine Teams, verstärkte Hygienemaßnahme beim Material und der Mund-Nasenschutz sind die zentralen Maßnahmen. Wo es möglich ist, halten wir den Mindestabstand zu Verunglückten und anderen anwesenden Wanderern ein. Klar, bei der unmittelbaren Verletztenversorgung oder rettungstechnischen Arbeiten ist das nur bedingt oder auch nicht möglich. Der Mund-Nasenschutz ist hier Pflicht für Patienten und Retter.“
Wie beobachten Sie das Wanderverhalten? Sind aufgrund der anfänglichen Einschränkungen im Lockdown weniger Bergsteiger und Touristen in den Bergen unterwegs?
„Das ist schwer einzuschätzen. Es ist ja ein dynamischer Prozess. Während des Lockdowns waren sehr wenige Leute in den Bergen unterwegs. Da gab es dann mehr Rad- als Bergunfälle und Arbeitsunfälle beim Forst zu vermelden. Schaut man sich die Einsatzzahlen der vergangenen Tage an, sieht man, dass sich die Situation deutlich 'normalisiert' hat.“
Wie stellen sich denn die Einsatzzahlen im Vergleich zu den Vorjahren dar?
„Ein Trend zeigt sich immer erst am Ende einer Saison. Viele Faktoren spielen da mit rein, allen voran das Wetter. Aber: Womit will man diese Sommersaison schon vergleichen? Es gibt keinen adäquaten Vergleich! Noch nie wurde die Bewegungsfreiheit der Menschen aufgrund einer weltweiten Pandemie derart eingeschränkt. Wir gehen davon aus, dass in diesem Sommer viele Wanderer und Touristen in den deutschen Alpen und Mittelgebirgen unterwegs sind, weil viele auf einen Auslandsurlaub verzichten. Wir erwarten deshalb auch eher mehr als weniger Rettungseinsätze. Aber wie gesagt, da spielen auch viele andere Faktoren mit rein. Das werden die nächsten Wochen erst zeigen.“
Die Wetterbedingungen sind derzeit ideal für Wander- und Klettertouren in den Alpen und Mittelgebirgen. Was würden Sie Wanderern – in der derzeitigen Situation, aber auch ganz allgemein – für einen Ausflug in die Berge raten?
„Grundsätzlich gilt in den Bergen: Mit einem defensiven Verhalten fährt man meist am besten. Insbesondere in dieser Saison, wo vielen von uns unter Umständen die notwenige Routine durch die Beschränkungen fehlt. Viele Unfälle sind klassische Sportunfälle. Aber im Gegensatz zur heimischen Sporthalle ist man beim Bergsport auf schmalen Wanderwegen in teils unwegsamem Gelände unterwegs. Wir gehen ja aus gutem Grund in die Berge: weil wir dort inmitten einer wunderschönen Natur sind und eben nicht in der Stadt mit ihrer ausgebauten Infrastruktur. Das bedeutet aber gleichsam: wir sind abseits schnell erreichbarer Straßen unterwegs, der Zustand der Wege kann sich ändern, die Höhenmeter und Strecken stellen Wanderer vor sportliche Herausforderungen. Durch die leichte Zugänglichkeit, etwa durch die Nähe der Bebauungen oder Bergbahnen, fehlt diese Wahrnehmung oft etwas. Gerade in den bayerischen Alpen sind die auch etwas abseits gelegenen Regionen ja sehr stark erschlossen. Vor allem Gelegenheitswanderer sollten sich langsam an die Anforderungen herantasten. Auch das Wetter spielt eine entscheidende Rolle: Wenn es unten im Tal sommerlich warm ist, kann es oben trotzdem schnell zuziehen und auffrischen. Wenn ich mich in so einer Situation verletze, kann ich schnell auskühlen, und eine vermeintlich leichte Blessur wird unter Umständen zu einer Notsituation. Kurzum: Ein Bewusstsein für die Berge und all seine Eigenheiten sollten Bergwanderer mitbringen.“
Zu welchen Einsätzen wird die Bergwacht denn am häufigsten gerufen?
„Die Bandbreite ist natürlich enorm hoch! Nicht die vermeintlich spektakulären Sportarten wie Gleitschirmfliegen oder Klettern sorgen für die meisten Bergrettungseinsätze, sondern genau die – ebenso vermeintlich – leichten Aktivitäten wie Wandern, Bergsteigen oder Radeln. Weil am meisten Wanderer und Radfahrer unterwegs sind. Die Einsätze reichen dann vom internistischen Notfall oder Abstürzen mit weitreichenden Folgen bis zu Rettungseinsätzen von Personen, die einfach nicht weiter können. Sie haben sich überschätzt, das unwegsame Gelände unterschätzt oder das Wetter nicht ausreichend im Blick gehabt. Kommt man an einen Punkt, an dem man – sei es aus physischer oder psychischer Erschöpfung – weder vor noch zurückkommt, rücken wir zur Hilfe aus.“
Spielt eine mangelhafte Ausrüstung häufig eine Rolle?
„In der Regel ist es heutzutage keine Ausrüstungsthematik mehr. Vielmehr spielt es eine Rolle, richtig mit der hochwertigen Ausrüstung umzugehen. Für einen erfahrenen Bergläufer ist ein leichter Laufschuh sicherlich eine gute Wahl, für einen klassischen Gelegenheitswanderer beim Queren von Altschneefeldern sicherlich nicht. Ausschlaggebend ist eine den Fähigkeiten angepasste Ausrüstung – und die Tatsache, seine eigenen Fähigkeiten richtig einzuschätzen. Und dann gilt der gleiche Grundsatz wie beim Skifahren auch: Nicht in die Berge gehen, um fit zu werden. Sondern: Sich im Vorfeld fit machen, um in die Berge gehen zu können! Zuletzt muss aber auch klar sein – passieren kann jedem immer und überall etwas, auch den Einsatzkräften der Bergwacht.“
Herr Ampenberger, vielen Dank für das Gespräch!
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